Gedanken zum Jahreswechsel 2021/22

Lesezeichen zum Jahreswechsel 2021/22
Etwas spät, aber hier ein paar Sätze zu meinem Lesezeichen zum Jahreswechsel in das Jahr 2022.

„Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre und Jahrhunderte reichen nicht aus. Sie haben uns nicht gerettet. […] Wir müssen neue Gedanken entwickeln, sie aus den Ecken des Universums ziehen, wo sie entstehen, um den Paradig-menwechsel zu bewirken, der unsere Art und Weise bestimmt, wie wir Erkenntnis erlangen, Wert und Bedeutung zuschreiben, die für unser Überleben notwendig sind, […]“

Das Zitat der simbabwischen Autorin Tsitsi Dangarembga macht für mich die Notwendigkeit des Umdenkens in unserer Welt deutlich. Das Zitat stammt aus der Dankesrede von Tsitsi Dangarembga zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2021.

Insbesondere der 2. Teil ihrer Rede, der auch in der taz abgedruckt wurde, zeigt deutlich die Notwendigkeit das vorherrschende westliche Denken zu ergänzen, wenn nicht zu ersetzen, „Denkmuster [zu] verändern“ und dabei inbesondere vom Denken des globalen Südens zu lernen. So verweist Dangarembga auf die Philosophie des Ubuntu, ein Begriff, der auch als Name für eine Distribution des Open-Source-Betriebssystem Linux bekannt ist.

Die Fotos auf dem Lesezeichen sind 2021 in Bayern aufgenommen. Ein Moorgebiet mit dem Namen „Sterntaler Filze“ bei Bad Feilnbach in Oberbayern bot die Gelegenheit auch eine immer seltener werdende Libelle, die Große Moosjungfer, zu beobachten.

Libelle Solnhofen

Ein späterer Besuch im Bürgermeister-Müller-Museum in Solnhofen im Altmühltal – die Gegend, in der die meisten versteimerten Archaeopteryx-Fossilien, eine Übergangsform von den Sauriern zu den Vögeln (Urvögel) gefunden wurden – beeindruckte durch den möglichen Blick in die Vielfalt des Lebens vor Millionen von Jahren.

Mit dabei waren auch versteinerte Libellen (Archaeopteryx-Inseln, Solnhofer Subarchipel), die vor 149.4 Mill. Jahren schon existierten. Bewusst – ich kann es zusätzlich auch nur Ehrfurcht als Gefühl nennen – wird man dadurch, wie lange es schon schon auch uns bekannte Lebewesen auf der Erde gibt und dass wir eigentlich gerade dabei sind, viele von diesen aussterben zu lassen.

Zusätzlich auf der Rückseite stand das Gedicht „Angst und Zweifel“ von Erich Fried (aus: 100 Gedichte ohne Vaterland. Berlin: Wagenbach, 1978, S. 89), das für mich angesichts der Entwicklung im ersten Teil des Jahres 2022 noch mehr an Bedeutung gewonnen hat. Ich habe angesichts der Zeiten Angst und ich zweifle immer mehr, ob es in ein paar Jahrzehnten oder Jahrhunderten noch Libellen oder Menschen gibt.

„Zweifle nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst

aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel“

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Gedanken zur Zeit (2020/21)

Lesezeichen zum Jahreswechsel 2020/21
Seit einigen Jahren gestalte ich zum Jahreswechsel ein Lesezeichen mit mir wichtigen Zitaten sowie eigenen Fotos aus dem Pflanzen- und Tierreich. Hier nun Fotos und Zitate des Lesezeichens zum Jahreswechsel 2020/21.

Das erste Zitat unterstreicht die überall zu beobachtende Vielfalt und Diversität, sei es in der Natur oder in der Gesellschaft. Es gefällt mir auch, weil dort die Bibliothek auftaucht und damit verbunden auch das Kombinatorische, was ich bei Wilhelm Ostwald (ein anderer Aufsatz in Englisch) näher betrachtet habe und was ich gerne auch mit Jorge Luis Borges und seiner Bibliothek von Babel zusammenbringe.

„[… W]er sind wir denn, wer ist denn jeder von uns, wenn nicht eine Kombination von Erfahrungen, Informationen, Lektüren und Phantasien? Jedes Leben ist eine Enzyklopädie, eine Bibliothek, ein Inventar von Objekten, eine Musterkollektion von Stilen, worin alles jederzeit auf jede mögliche Weise neu gemischt und neu geordnet werden kann.“

(Italo Calvino: Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. München: Hanser, 1991, S.165)

Ochtmisser Wiese

Das zugehörige Bild zeigt die sogenannte Ochtmisser Wiese bei Lüneburg. Teile davon sind eine selten gewordene Trockenrasenwiese. Flora und Fauna auf ihr sind bedroht durch eine seit Jahren geplante Ausdehnung des benachbarten Sportplatzes und durch falsch verstandene Ausgleichsmaßnahmen für Baugebiete in Lüneburg, in deren Rahmen vorhandene Natur oft zerstört wird, um „künstliche Natur“ zu schaffen.

Der Kleine Feuerfalter rechts ist auch auf dieser Wiese zu finden, während der Gewöhnliche Scheckenfalter in der Nähe von Lüneburg bei Echem aufgenommen wurde.

„Die Tat-Sachen sehnen sich nämlich ganz tief nach den Zu-Tun-Sachen.“

(Aus einem Text zum Philosophen Ernst Bloch (1885 – 1977) in: Wilser, A., Gerstner, S., & Streiter, B.: Ein naturphilosophischer Spaziergang durch die Jahrhunderte : der Naturpoesiegarten Burg Lenzen/Elbe. Lenzen: Trägerverbund Burg Lenzen (Elbe), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Branden-burg, 2018, S. 18)

Dieses Zitat, gschrieben in einem Text über einen meiner Lieblingsphilosophen, spielt für mich auf die Diskussion um Tat-Sachen an, etwa beim Thema Fake News. Es weist zudem auf die für mich paradoxe Situation beim Thema Klimawandel hin, dass zum Thema schon genug Tatsachen, Publikationen usw. veröffentlicht sowie politische Statements zu dringend notwendigen Handlungen, um die Klimakrise vielleicht noch zu bewältigen, verabschiedet wurden, ohne dass greifbare Veränderungen sichtbar werden.

Dieses Tun im Zitat verbunden mit dem Klimawandel wird illustriert durch drei unterschiedliche Arten von Wildbienen, die insgesamt wie fast alle Insekten in ihrer Existenz stark gefährdet sind, von links nach rechts, eine Blattschneiderbiene (wahrscheinlich eine Bunte Blattschneiderbiene Megachile versicolor oder eine Rosen-Blattschneiderbiene Megachile centuncularis), eine Bauchsammlerbiene, wahrscheinlich eine Gewöhnliche Löcherbiene Heriades truncorum und eine Mauerbiene, entweder die Gehörnte Mauerbiene Osmia cornuta oder die Rote Mauerbiene Osmia bicornis. Die Fotos stammen aus dem Stadtgebiet von Lüneburg.

Am Schluss folgen Fotos von drei Flechten, die aufgrund der Umweltbelastung in Deutschland nur noch sehr selten zu finden, zwei Bartflechten im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide (wahrscheinlich oben die Gewöhnliche Bartflechte Usnea dasopoga und darunter Brauner Moosbart Bryoria fuscescens), die Flechte „Isländisch Moos“ (Cetraria islandica) aus der Umgebung von Lüneburg sowie die gelbe Krustenflechte, die Korallen-Dotterflechte (Candeleriella coralliza), ebenfalls aus dem Naturschutzgebiet.

„Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“

(Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosphie. Frankfurt: Suhrkamp, 1977, S. 13)

Ganz am Schluss folgt dieses Zitat von Ernst Bloch, das er seiner Einleitung in die Philosophie voranstellt, was bei mir, als ich das Buch als Student lesen wollte, dazu geführt hatte, dass ich es erst ein paar Jahre später wieder aufschlug.

Das Zitat umfasst, wenn man so will, Blochs gesamte Philosophie, ausgehend vom einzelnen Menschen, als sich selbst zu formendes Mangelwesen, dem dies im Laufe der eigenen Entwicklung mehr und mehr bewusst wird und der nur durch die Gemeinschaft und Gesellschaft, dem „Wir“, die Vielfalt der Möglichkeiten, die sich einem auftun und die auch das Scheitern in Krisen umfassen kann, bewältigen kann, hin zu einer hoffnungsvollen Zukunft.

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„Wir sind alle Flechten.“

„Wir sind alle Flechten.“ Diese schöne Zitat von Scott Gilbert stellt Donna J. Haraway dem 2. Kapitel ihres neuen Buches (Unruhig bleiben, 2018, S. 47) voran. Damit wird für mich angedeutet, dass wir Menschen schon immer nur im Zusammenhang mit anderen Menschen, mit Pflanzen und Tieren, in gemeinsamen Sozial- und Ökosystemen leben: „Wir sind schon immer SymbiontInnen gewesen – genetisch, entwicklungsgeschichtlich, […] ökologisch. (S. 237)

Siehe auch die Präsentation und den Text des Biologen Scott Gilbert:

Flechten, insbesondere Bartflechten, sind teilweise sehr empfindlich gegenüber der Luftbelastung und in Deutschland nur sehr selten zu finden. Sie werden auch als biologische Indikatoren eingesetzt, um Luftverschmutzung nachzuweisen.

Nach den Erzählungen schwedischer Gesprächspartner im Jahre 2017 gibt es die Bartflechten auch erst seit einigen Jahren in Schweden wieder. Dies soll daran liegen, dass in Großbritannien sich die Kohleverbrennung verringert hat, deren Abgase aufgrund der Westwinde dann Richtung Schweden zogen. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen.

Die Fotos wurden 2017 im Värmland und im nördlichen Dalarna in Schweden aufgenommen.

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